Novemberpogrom
Am Abend des 09.11.2022 jährt sich das Novemberpogrom zum 84. Mal. Über das gesamte Gebiet des Dritten Reiches kommt es während des Novemberpogroms zu brutalen Angriffen auf jüdische Institutionen, Geschäfte und auch Juden und Jüdinnen selbst, von denen allein in dieser Nacht bis zu 400 ermordet werden.
Wusstest du, dass Innsbruck in der Pogromnacht einer der blutigsten und brutalsten Schauplätze war?
Von Mitgliedern nationalsozialistischer Organisationen wurde unfassbare Gewalt gegen jüdisches Leben ausgeübt und in mehreren Fällen sogar ausgelöscht. Vielen Innsbrucker:innen ist das Ausmaß der Gewalt und seine Verbreitung über das Stadtgebiet hinweg jedoch nicht bekannt, was einen schmerzlichen Missstand darstellt.
Wir haben daher bereits im Jahr 2020 einzelne Geschichten von Jüdinnen und Juden aufgegriffen und auf unseren Social Media Kanälen veröffentlicht. Die Zusammenstellung ist nun auch hier zu finden, die Links zu den einzelnen Posts sind an der jeweiligen Stelle angeführt. Wir wollen erzählen, was Jüdinnen und Juden in der Pogromnacht angetan wurde und ihre weitere Biografie darstellen, soweit dies möglich ist. Soweit dies möglich ist, da es zum einen nie ein definites Ende bei der Erinnerung an die Gräueln des Nationalsozialismus geben kann. Soweit dies möglich ist, da es zum anderen nie einen endgültigen Forschungsstand geben wird und wir immer weiter daran arbeiten müssen.
In unserer Recherche haben wir uns auf verschiedene Quellen gestützt, wie etwa www.novemberpogrom1938.at oder auch die Israelitische Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg.
Adamgasse 9
„In der Adamgasse 9 werden Ephraim und Mina Diamand von SA-Männern brutal angegriffen – ihre Töchter Klara und Auguste sind (wahrscheinlich) ebenfalls in der Wohnung. So wird die 65-jährige Mina Diamand mit Angriffen auf die Brust und das Gesicht attackiert. Ihr Mann Ephraim wird – vor allem beim Versuch seine Frau zu verteidigen – brutal mit einer Holzlatte angegriffen und durch das Stiegenhaus geworfen.
Der gemeinsame Sohn Bernhard ist am Abend an einer anderen Adresse, trotzdem werden er und sein Vater später in „Schutzhaft“ genommen, kommen Tage darauf jedoch wieder frei. Ephraim und Mina werden 1938 nach Wien zwangsweise umgesiedelt, während Tochter Klara mit ihrem Sohn Felix nach Frankreich kommt, wo sie ihn in die Obhut einer französischen Familie gibt, nur um danach nach Wien zurückzukehren, um sich um ihre Eltern kümmern zu können. Mina stirbt 1939 im Sammellager Malzgasse, Ephraim drei Jahre später in Wien Steinhof. Klara wird 1942 nach Izbica deportiert, wo sie stirbt. Auguste wird im selben Jahr nach Polen deportiert, wo sie ermordet wird. Klaras Sohn Felix überlebt in Frankreich.“
Andreas-Hofer-Straße 3
„In der Andreas-Hofer-Straße leben der 69-jährige Martin Steiner, der bis zur Arisierung Inhaber der Firma S. Steiner (Likörfabrik, Branntweinbrennerei und Teegroßhandel) war, und seine 65-jährige Frau Rosa Steiner. In der Nacht des Novemberpogroms dringen SA- oder NSKK-Männer in die Wohnung der Steiners ein und malträtierten beide brutal. Beide werden verprügelt und auch mit Bierflaschen angegriffen, sodass Martin Steiner nicht nur Rippenprellungen oder -brüche erleidet, sondern auch eine Verletzung am Kopf und eine schwere Verletzung am Fuß. Aufgrund der Angriffe ist Marin Steiner längere Zeit danach auf einen Gehstock angewiesen.
Martin und Rosa Steiner werden am 28. Dezember 1938 nach Wien zwangsübersiedelt, wo Martin 1941 stirbt. Rosa Steiner wird 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert und von dort aus in das Vernichtungslager Maly Trostinec. Nur die schon verheiratete Tochter Gabriele überlebt die NS-Zeit, da sie kurz nach dem „Anschluss“ in die USA fliehen konnte.“
Andreas-Hofer-Straße 13
„Hugo Schindler wird, nachdem er und sein Bruder schon zuvor malträtiert und ihrer Unternehmen enteignet wurden, in der Andreas-Hofer-Straße 13 brutal von NSKK-Männern angegriffen. Mit einem Klavierhocker wird auf ihn eingeprügelt und er erleidet Tritte mit genagelten Schuhen ins Gesicht. Die komplette Wohnung wird zerstört. Seine Schwägerin Margarete wird nicht angegriffen, die Frau Edith ist wahrscheinlich bereits in England, wohin sie ihren Sohn Kurt im September 1938 aus Sicherheitsgründen schickte. Hugo Schindler wird von einem benachbarten Arzt nach den Angriffen versorgt und ins Sanatorium der Kreuzschwestern in der Kaiserjägerstraße gebracht. Dieses verlässt er nach vier Tagen, nur um direkt darauf nach England zu seiner Frau und seinem Sohn zu fliehen. 1948 kehren beide in die Andreas-Hofer-Straße 13 zurück, ihr Sohn folgt ihnen ein halbes Jahr später und auch die Schwägerin Margarete kehrt wieder zurück. Hugo Schindler stirbt 1952.“
Andreas-Hofer-Straße 29
Andreas-Hofer-Straße 29
Andreas-Hofer-Straße 40
Anichstraße 5
Anichstraße 7
Anichstraße 13
Beethovenstraße 5
Bienerstraße 27
Defreggerstraße 12
Erzherzog-Eugen-Straße 24
Falkstraße 18
Franz-Fischer-Straße 17
Franz-Fischer-Straße 20
Franz-Fischer-Straße 22
Gänsbacherstraße 4
Gänsbacherstraße 5
Goethestraße 15
„In der Goethestraße 15 lebt die Familie Smetana, die aus der 63-jährigen verwitweten Alice Smetana und ihren beiden Söhnen Paul und Hans besteht. Paul Smetana ist nach dem „Anschluss“ im März 1938 nach Bozen ausgereist, Hans lebt mit seiner Frau Alice und der 2-jährigen Tochter Judith eigentlich in der Erzherzog-Eugen-Straße 20. Dort mussten sie jedoch schon vor dem Novemberpogrom ausziehen, weshalb sie eigentlich bei Alice Smetana gemeldet sind. Es ist jedoch nicht bekannt, wo sich Hans, Alice und Judith in der Pogromnacht aufhielten.
Die Wohnung von Alice Smetana wird wahrscheinlich von NSKK-Männern angegriffen, jedoch ist nur die Beschädigung des Telefons überliefert – weitere Einzelheiten sind nicht bekannt.
Nach der Pogromnacht beherbergt Alice Smetana später Laura Popper für eine Nacht vom 13. auf den 14.11., die am 9.11. mit ihrem sich mittlerweile in Haft befindlichen Mann von SA-Männern in die Sill geworfen wurde. Kurz darauf flüchtet Alice wie auch ihr Sohn Hans mit Familie über die Schweiz nach Palästina (heute Israel), wo sie schon 1947 stirbt. Ihr Sohn Paul Smetana wandert nach Australien aus, während Hans mitsamt Alice und Judith 1951 nach Innsbruck zurückkehrt. Nach dem Tod ihrer Eltern kehrt Judith zurück nach Israel.“
Haydnplatz 8
Heiliggeiststraße 2
Innufer an der Haller Straße
Kaiser-Franz-Josef-Straße 4
„In der Parterrewohnung der Kaiser-Franz-Josef Straße 4 lebt die Familie Gottlieb, die aus der 72-jährigen Eszti Gottlieb und der 29-jährigen Cäzillie Gottlieb besteht. Der 49-jährige Arthur Gottlieb hat Innsbruck schon im April 1938 verlassen. Ebenso in der Wohnung ist ein jüdischer Untermieter namens Fischer, wobei es sich sehr wahrscheinlich um Ernst Fischer handelt.
In der Pogromnacht klingeln SA-Männer die Bewohner:innen der Parterrewohnung der Kaiser-Franz-Josef-Straße 4 aus dem Schlaf. Nachdem Eszti Gottlieb ihnen die Türe öffnet, begeben sich die SA-Männern sogleich in die Wohnung und fragen nach männlichen Juden, was Eszti verneint. Die SA-Männer glauben ihr dies jedoch nicht und durchsuchen die Wohnungen, wobei sie auf den jüdischen Untermieter Fischer treffen, der in einem separaten Zimmer wehrlos auf seiner sich auf dem Boden befindlichen Matratze liegt. Sie gehen sofort auf ihn los und schlagen ihm ins Gesicht, auf den Kopf und den Oberkörper. Eszti und Cäzillie Gottlieb verlassen Innsbruck kurz nach der Pogromnacht und sind ab dem 17. November 1938 als geflüchtet abgemeldet. Über das weitere Schicksal von Herrn Fischer ist leider nichts bekannt.“
Originalposting hier
Leopoldstraße 28
Maria-Theresien-Straße 25
„In der Pogromnacht wird ein wahrscheinlich jüdischer Untermieter in der Maria-Theresien-Straße 25 von NSKK-Männern misshandelt, die schon im Laufe der Nacht zuvor andere jüdische Familien im Stadtgebiet malträtierten. Mehr als diese kurze Information ist leider nicht übermittelt, insofern ist auch die Identität oder das weitere Schicksal des jüdischen Untermieters nicht bekannt.“
Maria-Theresien-Straße 33
Museumstraße 6
Salurner Straße 3
Originalposting hier
Salurner Straße 8
Schillerstraße 4
Sillgasse 15
„In der Sillgasse 15 befindet sich nicht nur die Synagoge, die in der Pogromnacht zerstört wird, sondern im zweiten Stock auch die Wohnung der Familie Dannhauser. Diese besteht aus der 98-jährigen verwitweten Berta Dannhauser, die von ihren verwitweten Töchtern Helene Jäger und Regina John versorgt wird. Ebenso in der Wohnung ist Reginas gelähmter Sohn Rudolf John. In der Pogromnacht dringt eine SA-Gruppe in die Wohnung der Dannhausers ein, jedoch sind keine Einzelheiten aus der Nacht bekannt. Es wird jedoch erzählt, dass Berta Dannhauser von den SA-Männern misshandelt wird.“
Templstraße 8
Erinnerung
Wir haben versucht, die Geschichten der Opfer der Pogromnacht in Innsbruck in den Vordergrund zu rücken und aufzuzeigen, welche Schicksale hinter den damaligen Geschehnissen liegen. Vielen Innsbrucker:innen ist dabei gar nicht bewusst, wie viele Angriffe es in unserer Stadt gab und dass sich diese über große Teile des Stadtgebiets erstreckten – diesem Missstand wollten wir mit dieser Reihe zumindest ein wenig entgegensetzen.